Berlin Marathon – 42,195 km ist was der Kopf draus macht!

von Patrick Kolei Kommentare Wettkampf

Freitag, 23. September 2016 um 19:30 Uhr. Ich saß im Flugzeug der Transavia und wartete auf den Start der Maschine. Wie bereits in meinem Vorbericht geschrieben, sollte sich meine Anreise dieses Mal wesentlich entspannter und gemütlicher gestalten. Ich ließ das Auto stehen und konnte mich so während des Flugs schon auf den anstehenden Wettkampf konzentrieren, und nicht auf den chaotischen Verkehr auf der Autobahn. Berlin war mir vom letzten Jahr noch in guten Erinnerungen, so erhoffte ich mir auch in diesem Jahr einen würdigen Abschluss meiner langen und guten Saison. Am Ende wurde mir dann aber wieder bewusst, dass ein Marathon 42,195 km lang ist und wie wichtig auch an diesem Tag mein Kopf für mich war.

Als ich mit etwas Verspätung um 21:23 Uhr in Berlin Schönefeld landete, wusste ich für mich schon, dass es die richtige Entscheidung war. Es ging alles sehr schnell und unkompliziert. Ich hatte meine kleine Tasche als Handgepäck dabei und verzichtete dieses Mal auf unnötige Dinge, welche man sonst immer gerne trotzdem mal einpackt und am Ende wieder ungenutzt mit nach Hause nimmt. Es ist ja schließlich auch so viel Platz in einem großen Koffer. Mit dem Bus ging es anschließend mit der Linie 171 weiter zu Hannah und Carsten, die mir auch für den Berlin Marathon wieder Unterschlupf gewährten. Die Klappcouch und ich sind uns ja mittlerweile sehr bekannt und auch schon sowas wie Freunde geworden. Die beiden saßen vollkommen entspannt und gemütlich auf der Couch und es war bis zu diesem Zeitpunkt keinerlei Anspannung oder Nervosität zu spüren. Wir hatten ja auch schließlich noch den ganzen Samstag Zeit.

Startunterlagen & Messe

Nach einem kräftigen Frühstück an diesem Samstag, machten wir uns rechtzeitig auf zur Marathonmesse. Wir wollten dem großen Ansturm gegen Mittag / Nachmittag aus dem Weg gehen und für die Abholung unserer Startunterlagen nicht Stunden anstehen müssen. Mittlerweile hat der SCC rund um die ganze Organisation reichlich Erfahrung, sodass wir keine 10 Minuten brauchten um unsere kompletten Unterlagen in einem Beutel in den Händen zu halten. Ein obligatorisches Foto vor der Unterschriftenwand war natürlich unerlässlich. Kurze Zeit später streiften wir dann auch schon um die Messestände, um uns mit Gels & Riegel zu versorgen und uns noch mit Corinna und Kersten zu treffen.

Gegen Nachmittag absolvierte ich dann noch meinen üblichen „WarmUp-Lauf“, bei herrlichem Wetter, warmer Luft und einem tollen Ausblick direkt am Wasser. So stellte ich mich nun auch mental auf den Marathon am nächsten Tag ein. Eine 6,5 km Runde sollte dafür ausreichen. Die Beine fühlten sich locker und ausgeruht an, sodass ich mich gut vorbereitet fühlte. Um 17 Uhr machte ich mich dann auf den Weg zur Pasta-Party in die Pizzeria Rossa am Alex. Judith organisierte dieses Mal das Treffen des #twitterlauftreff und es waren über 30 Läuferinnen, Läufer, Unterstützerinnen und Unterstützer anwesend. Bekannte, aber auch viele neue Gesichter waren dieses Mal wieder dabei. Jeder hatte seine Geschichten zu erzählen, packte die letzten Verletzungssorgen auf den Tisch und offenbarte seine Zielsetzungen für den nächsten Tag.

Von alten Hasen, bis zu Neulingen war wieder alles dabei. Gerade aus diesem Grund mag ich diese Treffen auch sehr, denn einige von diesen verrückten Läuferinnen und Läufer sind mittlerweile zu guten Freunden geworden. Anschließend traf ich mich noch auf einer weiteren Pasta-Party mit Sascha und seinen Freunden. Er wurde von Hannah und Carsten gecoacht und war somit bestens für seine eigenen 42,195 Kilometer vorbereitet. Auf der Klappcouch angekommen konnte ich nun aber nicht mehr lange meine Augen aufhalten und schlief bereits ein, während Hannah und Carsten noch neben mir saßen. Um 06 Uhr sollte der Wecker klingeln und ich benötigte nun dringend eine Mütze Schlaf.

Wettkampf!

Wieder einmal saß ich am Frühstückstisch und versuchte mir einen Toast schmecken zu lassen. Rein ging er, aber geschmeckt hat er nicht wirklich. Müdigkeit. Nervosität, Anspannung. Diese Kombination war auch an diesem Wettkampfmorgen nicht unbedingt die beste, um ordentlich und geschmackvoll etwas zu frühstücken. Doch auch heute war die Mahlzeit zwei Stunden vor dem Start wichtig, um nicht eventuell einen Hungerast zu bekommen. Natürlich verpflegte ich mich auch während des Rennens, aber mit leerem Magen in der Startaufstellung stehen wollte ich unbedingt vermeiden. Aus Erfahrung wusste ich, das ist wirklich unangenehm.

Als wir nun auch, nach der unkomplizierten Abgabe unserer Wechselsachen, in der Startgruppe F angekommen waren, spürten wir wieder dieses Feeling mit über 40.000 Läuferinnen und Läufer auf der Straße des 17. Juni zu stehen. Der Moderator heizte mit Musik und Sprüchen ordentlich ein. Auf den neu angebrachten drei riesigen Monitoren über dem Startbereich konnte man hautnah mitverfolgen, was rund um den Start und besonders in der ersten Elite-Starterwelle passierte. Wir konnten den Start der ersten Welle in Ruhe verfolgen, denn wir waren im ersten Block der zweiten Startwelle und hatten somit den Vorteil nach dem Start erst Mal die freie Laufbahn nutzen zu können. Nach einem Abstand von 10 Minuten gingen schließlich auch wir auf die lange Marathonstrecke von 42,195 km.

Wir wollten uns für die ersten 10~12 km in einer Pace von 05:00/km einpendeln, um beide gut in den Rhythmus zu finden und dann einen Schritt schneller zu werden. Ich schaute mich um, genoss den Jubel der unglaublichen Zuschauer und versuchte auch für mich gut in den Tritt zu kommen. Gelang mir an diesem Tag nicht sonderlich gut. Was ich allerdings auch aus einigen Trainingseinheiten bereits kannte. Ich machte mir nicht allzu viele Gedanken und versuchte die angesetzte Pace zu halten. Etwas drüber, dann wieder etwas drunter. Zu diesem Zeitpunkt waren wir vollkommen im Soll und auch Carsten schien gut und frühzeitig gut in seinen Laufrhythmus gefunden zu haben.

Bei mir sollte es an diesem Tage wirklich satte 12 km dauern, bis ich in meinen Rhythmus gefunden hatte. Mit einigen Lockerungsübungen und kleinen Motivationsausbrüchen nervte ich aber Carsten wohl das erste Mal. Die ersten Versorgungsstellen hatten wir zudem brav mitgenommen. Zwischenzeitlich hatten wir auch kontinuierlich eine 04 in der Paceanzeige, sodass ich ein gutes Gefühl für diesen Tag hatte. Immer wieder tauschten wir uns aus und unterhielten uns über alltägliche Trainings- oder Wettkampfproblemen. Die Zeit verstrich schnell und an meiner Uhr drückte ich jeden Kilometer zusätzlich ab, um einen guten Überblick über die absolvierten letzten Abstände zu behalten.

Es müsste so bei Kilometer 17 gewesen sein. Da bemerkte ich plötzlich, dass wir etwas an Tempo verloren und sah auch, dass Carsten sich etwas zurückfallen ließ. Ein erstes kleines Tief war wohl die Ursache und ich versuchte ihn etwas zu motivieren und wieder in den Schritt zu bekommen. Anfänglich klappte das auch recht gut, sodass ich auf dem nächsten Kilometer auch das Tempo wieder normalisierte. Als uns allerdings auf den nächsten ca. 500 Meter der 03:30 Pacer mit seinen großen schwarzen Ballons überholte, spürte ich auf einmal wie auch bei mir etwas die Motivation geraubt wurde. Zu diesem Zeitpunkt verloren wir wieder den Abstand. Carsten hatte sichtlich Probleme mit der Pace und meinte nur: „Ich muss rausnehmen, sonst komme ich nicht an." Wie bereits im letzten Jahr in Frankfurt, musste ich mich nun entscheiden. Gerade wenn man zusammen gestartet ist, fällt einem diese nicht unbedingt leicht und man möchte den anderen auch nicht im Stich lassen. „Lauf zu“, schoss es mir schließlich entgegen, sodass ich wieder einen Schritt zulegte, um den Anschluss zum Pacer nicht zu verlieren.

Kurz dahinter traf ich auf Sven. Er machte ebenfalls ein ordentliches Rennen und wollte wohl auch um die 03:30 laufen. Er sah gut aus und nach einem kurzen Gespräch machte ich mich dennoch auf mein eigenes Rennen zu verfolgen. Ich überholte den Pacer und wollten ihn solange wie möglich hinter mir lassen. Die nächsten Kilometer alleine waren dennoch wieder eine Umstellung für mich. Natürlich machte ich mir auch Gedanken darüber, ob Carsten eventuell wieder in den Schritt gefunden hatte und sich nun auch hinter dem Pacer eingegliedert haben könnte. Das konnte er an diesem Tag nicht, denn es war einfach nicht sein Tag gewesen. Er musste leider bei Kilometer 25 mit Kreislaufproblemen aussteigen. Kopf hoch Kerle!

Bei mir lief es mittlerweile hingegen gut. Immer mal wieder zwickte mein linkes Knie, was mich aber nicht an einem Finish hindern sollte. Meine Eigenversorgung klappte Bestens und die Getränke an den Verpflegungsstellen nahm ich alle samt mit. Bis KM 32. Hier bekam nun auch ich Probleme mit dem Tempo, denn ich hatte das Gefühl auch diesen Schnitt bei mittlerweile 04:50/km nicht mehr halten zu können. Lag es an der fehlenden Eigenmotivation? Im Vorfeld hatte ich mir kein persönliches Ziel gesetzt und war spontan mit Carsten die sub330 angegangen. Für mich war das allerdings kein wirkliches Ziel an diesem Tag. Das spürte ich nun auch in den Beinen und der Schweinehund tat wohl sein Übriges dazu. „Du musst doch gar nicht mehr zu schnell laufen, Dir reicht doch auch eine 03:45 als Zielzeit“. Ein wirklich fieser Gedanken, gerade wenn man noch 10 km vor sich hat. Ich versuchte dennoch zumindest die 05:05 ~ 05:10/km zu halten und kämpfte nun die folgenden Kilometer mit mir und meinen wirren Gedanken.

Es dauerte geschlagene 5 Kilometer. Bis zur 37 Kilometermarke haderte ich mit mir und dem weiteren Verlauf des Rennens. Immer wieder versuchte ich mich abzulenken. Sprach mit anderen Teilnehmer. Drehte meine Musik etwas lauter, befand mich in meinem Tunnel und versuchte mich mit schönen Momenten aus meiner Saison im Rhythmus zu halten. Als ich den Schritt über die 37 km Grenze gesetzt hatte, verspürte ich plötzlich wieder meine mentale Stärke, welche mir bereits oft am Ende eines Rennens zu Gute kam. Gerade in solchen Phasen des Rennens kann ich abschalten, umschalten und einen Gang höher schalten. Das tat ich auch, sodass ich auf den nächsten zwei Kilometer wieder unter die 05 Minuten Grenze gefallen war. In diesem Moment wünschte ich mir nun Familie oder Freunde an die Strecke, die mich mit einem ordentlichen Push nochmal richtig nach vorne bringen würden.

Dann fielen mir Matty, Corinna, Ulf und Kersten ein. Wollten sie nicht bei KM 39 an der Strecke stehen? Auf der rechten Seite. Schnell kontrollierte ich meine Position und checkte die absolvierten Kilometer auf meiner GPS Uhr. Ich müsste sie bald erreicht haben, schoss es mir durch den Kopf. Ich hielt Ausschau nach dem „PowerUp“ Schild von Matty und als ich es endlich in der Entfernung sah, konnte ich es kaum erwarten drauf zu hauen. Mir eine ordentliche Portion Anfeuerung abzuholen und die letzten drei Kilometer ins Ziel zu fliegen. Meine Beine kribbelten und als ich endlich bei ihnen war, erkannten sie mich im letzten Momenten und ich schoss an ihnen vorbei. Da war er wieder. Dieser Reiz. Dieser Ehrgeiz. Dieser Laufflash. Den 03:30 Pacer, welcher mich ungefähr vor 4 km überholte hatte, konnte ich sicherlich nicht mehr erreichen. Darum ging es auch gar nicht. Es ging um ein guten, ein tollen, ein fantastisches Finish!

Ich ließ es laufen. Im Nachhinein glaube ich, die letzten drei Kilometer nicht mehr auf die Uhr gesehen zu haben. Ab hier standen wieder so viele Menschen an der Strecke. Man sah sie schreien und pushen, doch man hörte sie nicht. Jörg tauchte plötzlich auf der Strecke vor mir auf. Ich sprach ihn an, motivierte ihn dran zu bleiben, doch er war auch einfach fertig und lief sein eigenes Rennen bis ins Ziel. Ich kam an die letzte Abbiegung. Nach rechts, da sah ich es. Das Brandenburger Tor. Der Moment, der mir im letzten Jahr so viel bedeutete, an dem ich viele Tränen verflossen hatte. Ich sah die Silhouetten meiner Eltern auf der linken Seite und die Tränen schossen mir auch dieses Mal wieder über die Wangen. In der Mitte durchs Tor, wie bereits im letzten Jahr und mein Vater vor 26 Jahren am gleichen Ort. Welch ein unglaubliches Gefühl. Immer und immer wieder möchte ich es aufsaugen. Die letzten 500 Meter auf dem blauen Teppich gehörten dann wieder nur mir. Alle unnötigen Gedanken erloschen. Alle blöden Gedanken der letzten Kilometer einfach weg. Erleichterung. Geschafft. Im Ziel. Mit 03:32:38 gekämpft und mich selber belohnt. Der Schmerz vergeht, der Stolz bleibt. Wieder einmal.

Fazit

Berlin ist eine Reise wert. Immer. Keine Frage, bisher habe ich nur gute Erinnerungen an meine Teilnahmen beim Marathon. Allerdings musste ich in diesem Jahr auf den letzten Kilometer doch mehr kämpfen als es mir selber eventuell lieb gewesen wäre. Ich musste mir allerdings auch selber eingestehen, dass ich in diesem Jahr viel Kraft bei den Wettkämpfen gelassen hatte. Bei einem 50er Ultra, einer olympischen Distanz, 3 Mitteldistanzen, einer Langdistanz und einem Halbmarathon sicherlich kein Wunder. Im Nachhinein für mich absolut die richtige Entscheidung in diesem Jahr in Berlin nicht die sub3 (unter 3 Stunden) angegangen zu sein und dieses Ziel für einen Moment mit frischen Beinen aufgehoben zu haben. Auch die Entscheidung Carsten in einer schwierigen Phase alleine im Rennen zurück zu lassen, ist mir an diesem Tag wieder unheimlich schwer gefallen. Ich hätte mir gewünscht, dass es besser für ihn läuft und hoffe beim nächsten Versuch wieder an seiner Seite laufen zu können, um es gemeinsam zu absolvieren und dann auch zu schaffen. Im nächsten Jahr bietet sich dafür bereits eine Möglichkeit.

Ich habe in Berlin wieder neue Menschen kennen lernen dürfen. Ich habe in Berlin wieder eine tolle Zeit erleben dürfen. Ich habe in Berlin eine Stadt gefunden, in der ich immer wieder gerne meine Zeit verbringen möchte. Nach dem Rennen erreichten mich wieder sehr viele Glückwünsche. Online, per Nachricht oder Anrufe. Danke! Danke fürs Daumen drücken, mitfiebern und dabei sein. Im nächsten Jahr wird es vermutlich durch die Teilnahme beim TAR (Transalpine Run) keine Teilnahme in Berlin geben. Aber wer weiß schon was morgen, übermorgen oder in einem Jahr ist ... Infos folgen.

Video

In diesem Jahr hatte ich meine GoPro 4 mit auf der Strecke und konnte so ein paar Impressionen direkt von der Strecke und mir einsammeln ;-)

Hinweis: Sollten Sie sich auf einem oder mehreren meiner Bilder erkennen und gegen diese Veröffentlichung in meinem Blog sein, so nehmen Sie doch bitte Kontakt mit mir auf, damit ich diese(s) umgehend entfernen kann.

GPX-Aktivität

Die Berlin-Marathon-Strecke im GPX-Format. Hier kann man sich meine Daten noch mal ganz genau anschauen :-)

Du möchtest diese Strecke gerne nachlaufen? Gerne! Die GPX-Datei zum herunterladen gibt es hier :-)
42,195 km
Distanz
03h 32' 38"
Zeit

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